Erwin Lüllau ist einer der Letzen seiner Art

Grevelau (mab). Was macht ein Stellmacher? Kaum jemand aus der jungen Generation weiß eine Antwort, denn der alte Handwerksberuf, der bis Mitte des vorigen Jahrhunderts in fast jedem Dorf vertreten war, ist fast ausgestorben. Der 82-jährige Erwin Lüllau aus Grevelau dürfte in Harburg Stadt und Land einer der letzten sein, der noch mit eigener Hand hölzerne Wagenräder, Schubkarren, Transportschlitten, Heurechen und Spatenstiele gefertigt hat.

Wie sein Vater, Großvater und Urgroßvater zuvor hat Erwin Lüllau gelernt, mit Hartholz umzugehen. Stellmacher besaßen Sensibilität für ihren Werkstoff. Sie suchten im Wald selbst die geeigneten Stämme aus, schlugen das Holz mit eigener Hand und lagerten es zur Trocknung drei bis vier Jahre lang. Während Kutschwagenräder aus schön gemasertem Eschenholz gefertigt wurden, nutzte man für Ackerwagen die robuste Eiche.

Der Umbruch erreichte die Betriebe in der Umgebung Harburgs kurz nachdem Erwin Lüllau seine dreijährige Ausbildung in der Stellmacherei Simon in Ashausen beendet hatte. „1949 standen plötzlich ein Dutzend Ackerwagen im Hof, die kein Bauer mehr haben wollte, weil die Phoenix erstmals Gummireifen für Plattformwagen anbot“, erinnert er sich. Binnen kürzester Zeit mussten sich die Stellmachereien umorientieren, wurden zur Zimmerei oder Tischlerei. Wer nicht flexibel reagierte, ging pleite. Viele Stellmacher verloren ihre Arbeit, auch Erwin Lüllau. Während etliche Kollegen im Eisenbahn-Waggonbau unterkamen, fand er nach einem beruflichen Intermezzo als Elektro-Schweißer auf der Howaldtswerft eine Stelle im Fahrzeugbau. Bei der Harburger Firma Albers in der Hannoverschen Straße montierte er hölzerne Klappen und Böden von Anhängern und setzte Untergestelle und Pritschen aus Hartholz auf Lastwagen.

Ein schwerer Arbeitsunfall Mitte der 1960er Jahre zwang Erwin Lüllau umzuschulen. Fortan arbeitete er im Büro. Doch nach Feierabend und an Wochenenden trieb es den Familienvater in die heimische Werkstatt. Sogar Ehefrau Emilie musste mit anpacken, wenn große Bohlen durch die gewaltige Bandsäge zu schieben waren.

Bis heute sieht es so aus, als hätte er die Arbeit, die ihm so viel bedeutet, nur kurz unterbrochen. Meterlange Band-Sägeblätter sind sauber aufgerollt, Stechbeitel und Handsägen hängen aufgereiht über der Hobelbank. Auf der urtümlichen, von einem ledernen Keilriemen angetriebenen Radmaschine steht noch eine Nabe aus Eiche. Die länglichen Zapflöcher für die Speichen sind bereits gebohrt.

Doch die Stellmacherei rentiert sich nicht mehr. „Handarbeit hat eben ihren Preis und den wollen die Leute heute nicht zahlen. Kutschen werden jetzt fast immer aus Polen bezogen“, weiß Erwin Lüllau. Sein Vater lieferte noch große Mengen handgefertigter Spaten-Stiele aus Buchenholz in die Vierlande. Doch wo einst Frauen umgruben, lockern heute Maschinen die Erde in den Gewächshäusern auf und Spaten-Stiele werden ebenso industriell gefertigt wie Schaufelblätter. Ernst Lüllau dagegen hatte einst mit einem Schmied aus Zollenspieker kooperiert.

„Schmiede, die noch fachmännisch den Metallring um ein Speichenrad setzen können, gibt es ja kaum noch“, sagt Erwin Lüllau. Es ist eine große Kunst, das Metall genau zu bemessen und den glühenden Reifen so geschickt über das Holzrad zu ziehen, dass er nach dem Abkühlen genau passt.

Früher hat Erwin Lüllau seine Produkte in weitem Umkreis in Heimatmuseen und bei Handwerkermärkten verkauft. In seinem Lager stehen noch letze Exemplare hölzerner Schubkarren, Speichenräder und Heurechen. Getrocknete gebogene Weidenzweige, geschnitten und geschält von Emilie Lüllau, hängen in Bündeln von der Decke. Sie werden wohl nie mehr zur Versteifung einer Harke beitragen.

Info: Den Beruf des Stellmachers gibt es, seit vor Jahrtausenden hölzerne Scheiben durch Speichenräder ersetzt wurden. Im Wagenbau wurden zuweilen Radmacher und (Ge)stellmacher unterschieden, zumeist aber übernahm der Stellmacher auch die Fertigung der Räder mit Nabe, Speichen und Felgen. Den Eisenreifen, der das Rad zusammenhält, setzt ein Schmied.

BU: Erwin Lüllau zeigt die Restbestände seiner Produktion: hölzerne Schubkarren, Speichenräder, Heurechen, Spatenstiele und Sensenstangen. Foto: mab

BU: Erwin Lüllau in seiner Werkstatt. Vorn eine Nabe aus Eichenholz, im Hintergrund das große Rad der Bandsäge.