Bloß nicht die Pferde scheu machen!

Dieser Artikel erschien am 23. Januar 2023 im Hamburger Abendblatt.

Pferdehaltung wird teurer. Pferdebesitzer, Betriebe und Vereine stemmen sich gemeinsam gegen die Krise

Für Emil Lessin liegt das Glück der Erde auf dem Rücken der Pferde. Genauer: Auf dem Rücken von „County“. Der Schimmel gehört dem Zehnjährigen zwar nicht, aber er hat eine Reitbeteiligung am Hannoveraner und ist so oft wie irgend möglich im Stall, um das Tier zu reiten und zu umsorgen. „Ich freue mich einfach immer, ihn zu sehen. Es fühlt sich gut an. Hier zu sein, macht meinen Kopf frei“, sagt der Junge, bevor er sich weiter dem rhythmischem Auf und Ab im Sattel hingibt. Er genießt die geschmeidigen Bewegungen des Tieres, seinen Geruch, seine Wärme, das vertraute Schnauben.

Ein Leben ohne Pferde können sich Simone Lessin, mit Stute „Sazou“, und ihr Sohn Emil, auf „County“, nicht vorstellen.

Die Begeisterung für Pferde wurde Emil in die Wiege gelegt. Als er klein war, hatten beide Eltern eigene Reittiere. Jetzt ist nur noch „Sazou“, die Stute der Mutter, in Familienbesitz. „Ein zweites Pferd könnten wir uns nicht mehr leisten“, sagt Simone Lessin.  Die in Teilzeit beschäftigte  Industriekauffrau und ihr Mann,  Spezialist für Wassertechnik, sind Durchschnittsverdiener. Damit Frau und Sohn weiter reiten können, hat der  Handwerker zusätzlich zu seiner Vollzeitstelle einen Nebenjob angenommen. Und auch die 44-Jährige verdient dazu, wann immer sich eine Gelegenheit bietet. Denn neben den Lebenshaltungskosten steigen auch die Ausgaben für ihr Hobby.  Reitsport könnte wieder zum Luxus werden.

Denn auch Ross und Reiter sind von den Folgen des Ukraine-Krieges betroffen. Mit der Weizen-Knappheit wurde auch Kraftfutter teurer. Der Stopp der Düngemittellieferungen zog eine Teuerung  für Heu und Stroh nach sich. Vor allem die hohen Energiepreise nach Ende der Erdgasimporte aus Russland wirken sich vielfältig aus. Teurer Diesel erhöht die Kosten für Transporte und den Betrieb landwirtschaftlicher Maschinen. Dazu kommen deutlich höhere Stromkosten für Licht in den Ställen und das Beheizen von Tränken. Die Holzknappheit trifft Reitbetriebe in Form von teureren Zaunpfählen und Einstreu.

In der Helmstorfer Reitanlage Behrens, in der „County“ und „Sazou“ sowie 52 weitere  Pferde und Ponys eingestellt sind, liegt die Monatsmiete für eine Pferdebox  je nach Größe und Ausstattung bei 450 bis 550 Euro inklusive Versorgung, Futter und Stroh. Im vergangenen Jahr hat  die Pächterin Christina Behrens den Preis um  60 Euro erhöhen müssen. Das bedeutet eine Steigerung von etwa 20 Prozent. Christina Behrens verdient trotzdem weniger als zuvor.  Allein  die Anhebung der Löhne für die Beschäftigten – eine Vollzeit- und eine Teilzeitkraft, vier Aushilfen –  vergrößern die Ausgaben für den Stallbetrieb deutlich.

Christina Behrens mit ihrem Pferd „Crisby“ auf der von ihr geführten Reitanlage in Helmstorf. Die 51-Jährige ist leidenschaftliche Reiterin und Pferde-Verhaltenstherapeutin.

„Alle Kostenerhöhungen kann ich gar nicht an meine Kunden weiter geben. Es geht ja auch erst einmal um den Erhalt des Betriebes. Und die Versorgung der Pferde, mit allem was sie brauchen, steht für mich an erster Stelle. Da ist mir Qualität sehr wichtig“, erklärt die 51-Jährige, die selbst seit ihrer Kindheit reitet und aktuell eine Stute nebst Fohlen besitzt.

Verantwortungsgefühl den Tieren und der Stallgemeinschaft gegenüber sowie die Liebe zu Pferden eint die Reiterhof-Chefin und ihre Einsteller. Es ist für alle Ehrensache, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und unnötige Ausgaben zu vermeiden. „Wir achten jetzt noch genauer darauf, dass weder  Strom noch Stroh oder Futter verschwendet werden“, berichtet Simone Lessin. Christina Behrens hat darauf verzichtet, den Preis für ihren Reitunterricht anzuheben. „Wir haben viele ambitionierte Kinder und Jugendliche im Stall. Ihre Förderung  liegt mir am Herzen.“

Kindern und Jugendlichen, Tiere und Natur näher zu bringen, ist auch Ziel des  Ponyclub Ohlendorf.  ganz genauso. Dennoch musste der  gemeinnützige Verein, dem 28 Pferde und Ponys gehören, die Tarife für Reitstunden schon vor einem Jahr erhöhen. „Wir waren nicht gut durch den Coronawinter 21/22 gekommen. Dass es danach überhaupt weiter gehen konnte, ist nur großzügiger Spendenbereitschaft zu verdanken“, erzählt die Erste Vorsitzende Frederike Engels. Der Vereinsbeitrag ist gering. Die Finanzierung läuft vor allem über die zahlreichen Reitkurse, an denen auch Nicht-Mitglieder teilnehmen dürfen. Je nach Alter und Mitgliedschaft betragen  die Gebühren für den Kursus jetzt zwischen 55 und 75 Euro monatlich. Früher konnte Unterricht noch wochenweise gebucht werden. Auch Anmeldungen für geführte Ausritte oder Ponytouren sind nicht mehr kostenfrei zu stornieren. „Wir brauchen einfach Planungssicherheit“, sagt Frederike Engels.

Die 25-Jährige verbrachte schon als Kind viel Zeit auf der Jugendfarm, weil sich ihre Mutter bereits seit Mitte der 1970er Jahre für den Ponyclub engagiert. Inzwischen ist Frederike Schiffbauingenieurin mit Fulltime-Job. Trotzdem ist sie nach Feierabend regelmäßig auf der Reitanlage zwischen Ohlendorf und Horst präsent. Ehemann und Eltern unterstützen sie nach Kräften. Auch die große Mehrzahl der 215 Mitglieder fühlt sich dem Verein zutiefst verbunden. Ohne deren Einsatzbereitschaft, ehrenamtliche Arbeit und finanzielle Unterstützung könnte der Ponyclub nicht existieren.

So liefert ein benachbarter Bauer Heu zu Vorkriegspreisen. Jedenfalls bis heute. Auch die Tierärztin stellt ihre Rechnungen für die Behandlung der Vereins-Pferde meist nicht nach der seit Oktober geltenden neuen Gebührenordnung, sondern orientiert sich am alten Satz. Noch. Der Schmied hat seinen Tarif für Hufbeschlag zwar erhöht, allerdings nur moderat. Bisher. „Wir wissen nicht, ob in diesem Jahr weitere Erhöhungen auf uns zu kommen“, sagt Frederike Engels.

Sie zieht sich im ungeheizten, feuchten Aufenthaltsraum fröstelnd das Stirnband über die Ohren. Der Gasofen wird aus Kostengründen schon lange nicht mehr genutzt, es regnet durchs undichte Dach. Aber das ist im Ponyclub zweitrangig. Wichtiger ist der Ankauf  eines neuen Ponys, denn während der Pandemie hatten viele Kinder Gelegenheit, ihre Liebe zu Pferden zu entdeckten. Die Nachfrage nach Reitstunden hat eher zu- als abgenommen.

Auch Christina Behrens sieht die Zukunft optimistisch. „Wir kommen gemeinsam durch die Krise. Bloß nicht gleich die Pferde scheu machen!“ Sie kennt bisher niemanden, der sein Pferd aus Kostengründen abgegeben hätte. All ihre Boxen sind ausgebucht, die Warteliste ist lang. Ihre Erfahrung: Wer erst einmal ein Pferd besitzt oder das Reiten für sich entdeckt hat, wird alles tun, um sein Tier zu behalten. Auch Emil Lessin hat sich schon Gedanken über die Zukunft gemacht. „Ich würde arbeiten, um das Geld für meine Reitbeteiligung an ‚County‘ selbst zu verdienen.“

Fotos: Martina Berliner