Ein Wohnwagen steht vor der Kulisse der Fehmarnsundbrücke

Das facettenreiche Ostseejuwel

Ein Wohnwagen steht vor der Kulisse der Fehmarnsundbrücke
Mit dem Wohnwagen steht man immer in der ersten Reihe: Tolle Aussicht auf die Fehmarnsundbrücke

Eine Liebeserklärung an Fehmarn

Ich liebe die Abwechslung. Deshalb fahre ich immer wieder nach Fehmarn. Ein Widerspruch? Keineswegs! Deutschlands drittgrößte Insel bietet eine Vielfalt, die ihresgleichen sucht. Ruhe und Trubel, unberührte Natur und liebevoll gepflegte Kultur. Die Sonne scheint hier öfter als anderswo Denn die vom Westwind getriebenen Regenwolken haben ihre feuchte Fracht meist schon über dem Festland abgeladen, bevor sie Fehmarns Küste erreichen.

75 Kilometer Meeressaum an einer See, die jeden Tag ihr Gesicht verändert. Mal schwach gekräuseltes Flaschengrün, mal tiefes Aquamarin, getupft von weißen Schaumkronen und bunten Segeln. Wer an windstillen sonnigen Frühlingstagen zeitig aufsteht, findet eine silberne See. Der Horizont  verschwimmt im Dunst, die glatte Oberfläche spiegelt den blassblauen Himmel.

Vom Strand von Katharinenhof aus sieht man in der Ferne die Fährschiffe, die sich auf halbem Weg zwischen Puttgarden und Roedby begegnen. Im schmalen Laubwaldstreifen, der hier streckenweise die Steilküste säumt, zwitschern Singvögel, während über dem Wasser Möwen kreischen und auf Pfählen in der See Kormorane krächzen, die vom Tauchen nassen Flügel zum Trocknen ausgebreitet. Das Wasser schwappt träge um mit grünem Seegras bewachsene Felsen. Der Sand hier ist grobkörnig, durchsetzt mit Kieseln aus Granit und Feuerstein.

Nur ein paar Kilometer entfernt, am Südstrand und am Wulfener Hals, ist der weiße Sand dagegen so fein, dass er als Streu für Hühnerställe und Scheuermittel verkauft wurde. Ein ganzer Berufsstand lebte einst davon, die Sandböter. Auch die Felsen, die die Gletscher der Eiszeit bei ihrem Rückzug hinterlassen haben, wurden genutzt. Steinfischer hoben sie per Hand und mit Schlingen. Noch bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts wurden Findlinge mit Maschinen aus dem flachen Wasser gehievt und als Baumaterial verkauft. Die Allee zwischen Burg und Burgstaaken ist mit den mühsam beschafften und bearbeiteten Brocken gepflastert.

Fehmarns Küstenlinie ist so vielgestaltig wie seine Strände. Im Südosten nagt das Meer beständig am Ufer. Auf der Westseite wird dagegen Material aufgehäuft. Ein Nehrungshaken, genannt Krummsteert, niederdeutsch für Krummschwanz, schiebt sich jährlich fast einen Meter weiter vor die Orther Reede. Unter der Regentschaft Kaiser Wilhelms I. wurde der Hafen zu einer großen Anlage mit zwei Kais, einem 170 Meter langen Hafenbecken und Kornspeicher ausgebaut. Heute ist das Wasser viel zu flach für große Schiffe. Hier dümpeln nur noch Segelboote. Orth verströmt in jedem Winkel den Charme der längst vergangenen Epoche. Sogar der Fahrradverleih atmet Nostalgie. Vor einem winzigen Häuschen lehnen ein halbes Dutzend betagter Drahtesel. Niemand weit und breit. Dafür eine Telefonnummer neben der Tür. Ich rufe an und erfahre zu meinem Erstaunen, dass ich mir einfach ein passendes Rad aussuchen und die Leihgebühr später in den Briefkasten werfen darf.

Radelnd geht es über den flachen Deich am Suhlendorfer Wiek entlang zum Flügger Leuchtturm. Fehmarns höchstes Leuchtfeuer liegt inmitten eines Naturschutzgebiets und ist nur unmotorisiert zu erreichen. Ringsum bevölkern viele Arten von Wasservögeln die verlandenden Strandseen  Vom 40 Meter hohen Turm aus bietet sich eine herrliche Aussicht. Gen Norden erscheint die flache Küste wie mit dem Lineal gezogen, nach Südosten schweift der Blick über sanft geschwungene Buchten bis zum „Kleiderbügel“.

Die Brücke, ein filigranes Netzwerk aus Stahl, verbindet seit 1963 die Insel mit dem Festland. In der Siedlung Fehmarnsund, dem einstigen Fährhafen, legen seither nur noch Segelboote an. Der Durchgangsverkehr nimmt stetig zu. Schon ist der nächste Brückenschlag geplant, der die Verbindung zu Dänemark noch schneller und unkomplizierter machen soll. Die Europabrücke soll die Fähren zwischen Puttgarden und Roedby ersetzen.

Fehmarn boomt und verbucht jährlich 3,5 Millionen Übernachtungen. Die zahllosen Tagesgäste sind da nicht mit eingerechnet. Umso erstaunlicher, dass sich die Insel einen großen Teil ihrer Ursprünglichkeit bewahrt hat. Drei Hochhäuser in Burgtiefe sind glücklicherweise die einzigen architektonischen Entgleisungen geblieben. Die zur Landseite hin fensterlosen Betontürme aus den 70er Jahren beherbergen ein Hotel, Ferienwohnungen und eine Rehabilitationsklinik.

Prägend für Fehmarn sind alte, zumeist liebevoll restaurierte Gebäude, die den unverwechselbaren Charakter der Insel ausmachen. In der Stadt Burg sind es schmucke Kaufmannshäuser, die sich wie Perlen an der kopfsteingepflasterten Hauptstraße entlang aufreihen. Auf dem Land sind es kleine, geduckte Katen, vor dem vorherrschenden Westwind hinter Hecken und Strandwällen versteckt. Nahezu unangetastet vom Wandel der Zeit blieben auch die zahlreichen Dörfchen, deren Häuser sich meist um zentrale Löschteiche gruppieren, auf denen unter tief hängenden Weidenzweigen Enten paddeln. Gewaltige Bauernhöfe protzen mit imposanten Backsteinfassaden.

Verzweigt wie eh und je ist das Netz schmaler holpriger Asphaltstraßen. Noch immer bestimmt die Form der Äcker die Wegführung und bedingt so zahlreiche scharfe Kurven. Da kann man trotz guter Ausschilderung und der vergleichsweise geringen Größe der Insel – 185 Quadratkilometer – die Orientierung verlieren.

Aber das macht nichts. Denn sie hat überall ihren Reiz, diese flache oder sanft gewellte  Landschaft  mit ihren von Knicks gesäumten Äckern, die im Mai lindgrün und hellgelb in der Sonne leuchten. Raps, so weit das Auge reicht. Als die „fünfte Jahreszeit“ wird die Ölpflanzen-Blüte von den Insulanern bezeichnet. Mitte Mai wird in Petersdorf rund um die höchste Kirche der Insel ein großes dreitägiges Fest mit Musik, Tanz und Spielen gefeiert, das tausende Besucher anlockt. Höhepunkt ist die Wahl der Rapsblütenkönigin, die Fehmarn ein Jahr lang repräsentiert.

Fehmarn bietet nicht nur Ruhe und Beschaulichkeit, sondern auch jede Menge Möglichkeiten für Aktivitäten. Die Fischer, die in Burgstaaken ihren Fang direkt vom Kutter aus verkaufen, sind stets für ein Schwätzchen zu haben. Wer sich seine Mahlzeit lieber selbst fängt, ist hier ebenfalls richtig, denn Burgstaaken ist Ausgangspunkt für Hochsee-Angeltouren.

Taucher können die Unterwasserwelt und Wracks erkunden. Hoch hinaus geht es im Klettergarten beim Campingplatz Südstrand und am Silo von Burgstaaken, einer der höchsten Kletteranlagen Europas. Auch eine Kartbahn ist hier am Hafen zu finden.

Bademöglichkeiten gibt es überall. Das traditionelle Strandleben mit Korbverleih findet am Südstrand statt. Auch Surfer tummeln sich je nach Windrichtung an jeder Küste. Anfänger nutzen vor allem den Burger Binnensee und die flachen Gewässer des Gollendorfer und Lemkenhafener Wieks.

Auf den Hügeln bei Wulfen gibt es einen 18-Loch Golfplatz mit grandioser Aussicht. Reiter lieben die zahlreichen romantisch gelegenen Pferdehöfe. Naturkundler werden das Wasservogelreservat Wallnau mit Ausstellung und Führungen lieben. Nicht nur für Biologen beeindruckend ist das vor zwölf Jahren eröffnete Meereszentrum in Burg, ein Aquarium mit gläsernem Tunnel, der Haifischbeobachtung aus Taucherperspektive ermöglicht. Heimatmuseen in Burg und Katharinenhof veranschaulichen den weltlichen Inselalltag vergangener Zeiten. Die trutzigen Backstein-Gotteshäuser von Burg, Landkirchen und Petersdorf zeugen von der jüngeren religiösen Vergangenheit, die Steinkammergräber, deren Reste nördlich von Katharinenhof und auf dem Hinrichsberg bei Stabersdorf zu finden sind, von der Ehrerbietung für verstorbene Steinzeit-Fürsten.

An einen musikalischen Hünen der Neuzeit erinnert indes ein Monolith auf der anderen Seite der Insel, am Flügger Strand. Hier gab 1970 der Gitarrist Jimi Hendrix sein letztes Livekonzert. Anfang September wird in Petersdorf im Gedenken an den Künstler ein Open-Air-Festival veranstaltet. Ein kleines Stück Woodstock am Rande des Naturschutzgebiets, wo sonst nur die Vögel singen. Ich liebe die Abwechslung. Deshalb fahre ich immer wieder nach Fehmarn.