Wer kennt ihn nicht, den „Banana Boat Song“ von Harry Belafonte? „Come, Mister tally man, tally my banana!“ Kommen Sie, Tallymann, zählen Sie meine Bananen – das klingt nach stupidem Aushilfsjob. Falsch! Tallymänner waren hochqualifiziert und genossen als ungekrönte Könige im Reich der Seehäfen hohes Ansehen.
„Wir galten was im Hafen, weil wir nicht selbst anpacken mussten, sondern nur dokumentiert haben. Die Reedereien waren abhängig von unserer Arbeit. Denn nach unseren Maßen berechneten sich die Staupläne und der Wert der Seefracht, da ging es um hohe Summen“, sagt Bernd Heckler. Der 64-Jährige ist einer der wenigen, die den Beruf des Tallymanns erlernt haben und heute noch im Hamburger Hafen tätig sind. Der Er gehörte zu den Kontrolleuren, die beim Laden oder Löschen die über die Kaikante gehenden Mengen erfassten und auf äußerlich erkennbare Schäden prüften. Sie wurden von allen Hafenarbeitern mit den höchsten Gehältern entlohnt und genossen in Hamburg auch Arbeitsplatzgarantie. Wenn sie nicht von einer Tallyfirma beschäftigt wurden, übernahm der Gesamthafenbetrieb ihre Vermittlung – ein frühes Modell der Leiharbeit.
Bernd Heckler, aufgewachsen in Kirchdorf, heute in Radbruch ansässig, wurde von 1960 bis 63 ausgebildet. A.H. Laudi mit Sitz am Baumwall war damals eine von rund 15 Tallyfirmen der Hansestadt. Auch Volkschüler bekamen eine Lehrstelle als Tallymann, sofern sie gut rechnen konnten und eine gut leserliche Handschrift hatten. Der selbst erststellte Stauplan war gewissermaßen ihre „Visitenkarte“. Wegen der internationalen Schiffsbesatzungen waren englische Sprachkenntnisse unverzichtbar, das verrät schon die Berufsbezeichnung. Das englische Wort „tally“ heißt Strichliste, das Verb „to tally“ bedeutet abhaken, nachzählen.
Bernd Hecklers Handwerkszeug waren der geeichte Maßknüppel, Rechenmaschine und der „Faulenzer“, ein Tabellenwerk, das das Rechnen erleichterte. Seine Ausbilder waren ausnahmslos Kapitäne. Denn bevor Mitte der 1950-er Jahre der Lehr-Beruf des Tallymanns geschaffen wurde, hatten Nautiker die verantwortungsvolle Aufgabe erfüllt. In den 70-ern wurden die Berufe des Tallymanns und des Quartiersmanns, der für die Prüfung der Qualität der Waren zuständig war, zum Beruf des Seegüterkontrolleurs zusammengefasst. 2006 wurde dieser Beruf wiederum durch die „Fachkraft für Hafenlogistik“ ersetzt, eine noch breiter gefächerte Ausbildung.
Im Grunde sei das zu unspezifisch, um die Aufgaben optimal erfüllen zu können, findet Bernd Heckler. Es herrsche Mangel an Fachkräften. „Heute würden gut ausgebildete Tally-Vormänner mit Kusshand genommen.“ Als die Container ihren Siegeszug antraten und kaum noch Stückgut verladen wurde, lösten sich fast alle Tallyfirmen auf. Dennoch landete kaum ein Tallymann auf der Straße. Aufgrund ihrer Kenntnisse fanden die meisten Arbeit in Leitungspositionen bei Hafenbetrieben.
Bernd Heckler hatte während der 35-jährigen Tätigkeit bei seiner Lehrfirma beste Kontakte zu Reedereien in aller Welt geknüpft und deshalb noch Anfang der 90-er Jahre die Gründung eines eigenen Tally-Unternehmens gewagt. 2006 hat er die Marax-Shipping-Service GmbH aufgelöst und einen neuen Job bei der Buss Hansaterminal GmbH angenommen.
Nun ist er Leiter einer Packstation und lässt Container nach Plan füllen. Er tut im Grunde das, was er sein Leben lang gemacht hat: Feststellen der Stückgutanzahl und Kontrolle auf Beschädigungen. Elektronische Datenverarbeitung erleichtert die Arbeit enorm. Was heute aus- oder eingepackt wird, wird gescannt, Ladelisten werden einfach ausgedruckt. Vorbei die Zeit, da Fracht-Papiere mit siebenfachem Durchschlag per Hand ausgefüllt werden mussten. Längst passé auch die Ära unendlich langer Arbeitszeiten. „Man kann sich heute gar nicht vorstellen, wie viel wir früher gearbeitet haben. Zwei bis drei Schichten mit jeweils acht Stunden hintereinander waren normal. Als junger Mann habe ich manchmal sogar fünf bis sechs Schichten ohne Unterbrechung gemacht.“
Bernd Heckler trauert dennoch der Vergangenheit nach, als Schiffe zum Löschen und Laden bis zu einer Woche am Kai lagen und sich Freundschaften zwischen Tallymännern, Ladeoffizieren und Kapitänen entwickeln konnten. „Der Ton ist kälter geworden im Hafen. Was früher per Handschlag besiegelt wurde, geht heute per E-Mail.“ An seinem 65. Geburtstag wird Bernd Heckler deshalb in Rente gehen, obwohl man ihn gern noch weiter beschäftigen würde.
Info: Im Hamburger Hafen werden große Mengen Bananen umgeschlagen. Noch in den 1960er Jahren wurden die Früchte unverpackt als große Büschel geliefert. Der Tallymann verwendete ein Handzählgerät für die Ermittlung der Lademenge. Später wurden zunehmend „Bananenhände“ in Kartons verschickt. Heute kommen sie in Kühlcontainern.